
„Was trauernden Männern bei (frühem) Kindsverlust in Paarbeziehung und Elternschaft hilft“ Interview Thomas Feldmann
Interview Teil 2 zum Thema Männertrauer mit Thomas Feldmann
Thomas Feldmann führt seit über 20 Jahren eine eigene Praxis für Einzel- und Paartherapie in Luzern, leitet die «MännerPraxis» (Männerberatung) und ist Trauerbegleiter. Er engagiert sich als Supervisor und Kursleiter in Palliative Care, Sterbe- und Trauerbegleitung. Er ist Leiter der Fachstelle «Begleitung in der letzten Lebensphase» der Caritas Zentralschweiz.
Welche Eigenheiten im Trauerverhalten von Männern sollten Fachpersonen kennen und anerkennen?
Thomas Feldmann: Das Wichtigste ist, genau zu ergründen, was ein Mensch nach einem Verlust erlebt, wie sich ein Verlust auswirkt, welche Bedeutung jemand dem Verlust gibt und wie damit umgegangen wird. Das ist sehr persönlich und unterschiedlich. Man kann als Begleiter:in nie von einem Verlustereignis auf dessen Wirkung für einen Menschen schliessen.
Ich erlebe, dass viele Männer, im Vergleich zu Frauen, ihre Trauer handelnd ausleben. Gemäss dem Dual-Prozess-Modell von Stroebe/Schut* geht es weniger um eine Bewältigung, die verlustorientiert ist (Weinen, Trauer, Gefühle, Erinnerungen), als mehr eine wiederherstellungsorientierte Bewältigung (Aufbau eines neuen Lebens, alltägliche Aufgaben, Ablenkung). «Das Leben muss weitergehen!», «Über Trauer zu reden, ändert nichts an der Tatsache des Verlusts» oder «Reden ist nicht handeln» höre ich von manchen Männern.
Etwas plakativ formuliert: Männer sind ergebnis- und nicht prozessorientiert. Nicht über Probleme sprechen, sondern eine Lösung dafür suchen und das Problem damit aus der Welt schaffen wollen. Das «Problem» der Trauer und des Schmerzes lässt sich aber nicht einfach aus der Welt schaffen. Mit dieser Erfahrung kommen Männer zu mir. In der Begleitung geht es darum anzuerkennen, dass die Trauer die Lösung ist und nicht das Problem.
Ist diese Ergebnisorientierung für eine trauernde Mutter und Partnerin eine hilfreiche Erklärung, dass der Partner auch trauert, einfach anders?
Thomas Feldmann: Unbedingt. Trauer zeigt sich auf die unterschiedlichsten Weisen. Gefühle wie Trauer und Schmerz auszudrücken und darüber zu reden, ist nur eine Form, dem inneren Erleben einen Raum zu geben. Wie bereits erwähnt, ist für viele Männer und Väter das Überleben und Weiterleben zentral. Das heisst nicht, dass sie nicht trauern. Nur ist das nicht offensichtlich und nach aussen hin für die Partner:innen – und auch für die Kinder – schwer erkennbar. Die müssen dann vermuten, dass die Väter auch trauern. Aber machen wir uns klar: Kommunikation lebt nicht von Annahmen und Vermutungen. Sie braucht den Austausch und das Abgleichen vom inneren Erleben zwischen den Partner:innen. Und Beziehungen brauchen Nähe und Verbundenheit, gerade in solch leidvollen Erfahrungen wie dem Verlust eines Kindes. So sage ich Müttern und Partnerinnen, dass ihre Bedürfnisse ebenso wichtig und richtig sind wie die des Vaters und Partners.
Welche Erklärungen helfen Männern, wenn sie realisieren, dass die Paarbeziehung gefährdet ist?
Thomas Feldmann: Krisen wie der Verlust eines Kindes haben ein grosses Konfliktpotential. Dies zu erkennen ist ein wichtiger Schritt in der Begleitung. Krisen sind eben nicht einfach Chancen, wie man so gern sagt, um zu trösten. Krisen können auch eine Gefahr sein. Manche Krisen enden mit einem Suizid, bei Männern in einem hohen Mass. Ein Verlust eines Kindes kann zur Entfremdung und in der Folge zur Trennung einer Paarbeziehung führen. Vor allem dann, wenn in der Beziehung die Worte oder tragende Rituale fehlen, die in leidvollen Momenten Verständnis und Zusammenhalt fördern. Tiefgreifende Verlusterfahrungen können das eigene Leben und die Beziehungen zu nahen Menschen gefährden. Ich erlebe, dass es Männern (und auch Frauen) hilft, sie in dieser Klarheit zu begleiten. Sie fühlen sich dann im Schmerzvollen gesehen und ernst genommen.
Was empfiehlst du Vätern im Umgang mit ihren Partner:innen?
Thomas Feldmann: Ich ermutige Väter und Männer, über ihre Bedürfnisse und ihren Umgang mit Verlust und Trauer mit ihren Partnerinnen in Kontakt zu bleiben. Zu zeigen, was ihnen hilft und darüber zu sprechen und sich nicht in den eigenen Trauerraum zu verabschieden und sich dort zu isolieren. Diese Distanzierung kann zusätzlichen Schmerz und manchmal auch Ohnmacht und Wut auslösen, weil dann auch noch die Verbundenheit als Paar und als Eltern verloren geht. Das ist dann der sekundäre Verlust, mit dem Väter und auch Paare in die Beratung kommen. Ich habe schon Paare erlebt, die mehrere Kinder vor der Geburt verloren haben und nie miteinander darüber getrauert haben. In der Hoffnung auf das nächste Kind wurde das Schmerzvolle verdrängt – und es meldete sich dann doch mit grosser Heftigkeit.
Welche Auswirkungen können Verluste von Kindern auf das Familiensystem haben?
Thomas Feldmann: Immer wieder erlebe ich, dass neben dem schmerzvollen Verlust eines geliebten Menschen, z.B. eines Kindes, der Umgang damit und die Distanz, die dann zwischen Paaren und Eltern entsteht, zusätzlich traumatisierend auf das Familiensystem wirken. Vor allem auch für die Geschwisterkinder. Ich höre in der Begleitung, dass Betroffene nach Jahrzehnten immer noch schildern, wie schlimm es für sie war, dass damals ihre Eltern nach dem Tode eines Geschwisters nicht mehr erreichbar waren und sich voneinander entfernt haben. Da können Schuldgefühle entstehen in Bezug auf die eigene Existenz. Kinder brauchen in diesen Themen Aufmerksamkeit, Orientierung, Sicherheit und Ehrlichkeit.
Dazu gehört auch, dass nachfolgende Kinder wissen sollten, dass vor ihnen ein Kind gestorben ist. Verstorbene Kinder gehören zum Familiensystem und behalten ihren Platz. Mittlerweile werde ich hellhörig und aufmerksam, wenn Jugendliche und Erwachsene mir sagen, dass sie orientierungslos sind und ihren Platz in der Familie – und in der Welt und in ihrem Leben – nicht finden. Manchmal hat das mit verschwiegenen verstorbenen Kindern im Familiensystem zu tun.
Welchen Rat können begleitende Fachpersonen einem trauernden Paar geben, wenn sie sich Sorgen um ihre Beziehung machen?
Thomas Feldmann: Der Verlust eines Kindes kann ein Paar auseinanderbringen, weil sie das Leidvolle nicht teilen können. Das schafft Distanz und entfremdet voneinander. Oder es kann verbinden und der Beziehung eine besondere Tiefe geben, die erfüllt und neuen Lebensmut fassen lässt. Ich erlebe Paare, für die ein gemeinsam durchlebter Trauerprozess eine wichtige, bestärkende Ressource für ihr weiteres Leben geworden ist. Manche Paare erleben darin ein tragendes Ja zueinander. Manchmal sind dann andere, kommende Krisen nicht weniger ernst, aber etwas gelassener zu nehmen.
Trauerprozesse sind vielschichtig. Jedes Individuum trauert auf seine Weise. Als Eltern braucht es auch gemeinsame Räume des Trauerns, Formen und Rituale, um im Erleben von Schmerz und Verlust verbunden zu bleiben. Und dies nicht erst nach dem Verlust eines Kindes, sondern schon vorher, wenn ein Kind krank ist und man weiss, dass die Lebenszeit absehbar begrenzt ist.
Was hilft noch?
Thomas Feldmann: Ich empfehle, die Paarbeziehung und die Elternschaft auseinander zu halten und für beides Räume zu schaffen. Vielfach führt ein Kindsverlust dazu, dass sich Paare nur noch als verwaiste, trauernde Eltern wahrnehmen und sich nicht mehr als Paar begegnen. Eltern haben die Aufgabe, sich weiterhin um das verlorene Kind zu kümmern, es zu würdigen, in Verbindung mit ihm zu bleiben und diesen Verlust in ihr weiteres Leben zu integrieren. Paare habe die Aufgabe, sich um ihre Beziehung zu kümmern und mit ihrer Paarseele verbunden zu bleiben. Das mag etwas technisch klingen, aber diese Unterscheidung kann Orientierung geben und entlasten: Wir sind nicht nur trauende Eltern, wir sind gleichzeitig ein Paar, das Freudvolles zusammen erleben kann.
Wenn ich dich richtig verstehe, ist es empfehlenswert, Paare zu bestärken, miteinander im Austausch zu bleiben und eine Form der Kommunikation zu finden oder eine vertraute, gemeinsam gelebte Form weiterzuführen?
Thomas Feldmann: Ja, das ist meine Erfahrung mit Paaren. Für viele ist es das Gespräch. Im Grunde ist es wie mit anderen Themen in der Paarbeziehung auch. Es geht immer darum, miteinander im Kontakt und im Austausch zu bleiben, auch wenn unterschiedliche Bedürfnisse da sind. Und ohne Nähe und Intimität, halten Paarbeziehungen kaum länger und schon gar nicht über Krisen hinweg. Und mit Intimität meine ich nicht nur Sexualität und Körperlichkeit, sondern auch tiefe Verbundenheit und Offenheit im Gespräch.
Zum Abschluss, was wünschst du dir für Paare mit einer Verlusterfahrung?
Thomas Feldmann: Ich wünsche ihnen vor allem Mut, dass sie sich in der Beziehung aufeinander einlassen und sich einander mit ihren Reaktionen und Gefühlen zumuten können. Emotionale Nähe kann verbinden und im Trauererleben tröstend sein. Ich erlebe von vielen Paaren, dass sie eine geistige und auch seelisch-spirituelle Intimität brauchen, um sich miteinander verbunden zu fühlen und füreinander Halt sein zu können.
*Stroebe, M. S., Schut, H., & Hansson, R. O. (Hrsg.). (2005). Handbuch der Trauerforschung: Konsequenzen, Bewältigung und Begleitung