Stellungnahme der Fachstelle kindsverlust.ch zur «Wassermethode»
Die sogenannte «Wassermethode» wurde 2015 in den Niederlanden eingeführt und wird seither auch in Deutschland für Eltern angeboten, deren Kind während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt stirbt. Dabei wird das verstorbene Kind nach der Geburt ins kalte Wasser gelegt. Die Idee dahinter ist, dass die natürlich auftretenden Verfärbungen der Haut des Kindes im Wasser zurückgehen und die Haut wieder eine «rosige Färbung» annimmt und damit den Eltern und deren Familien zusätzliche Zeit bleibt, sich zu verabschieden.
In der «Obstetrica (1/2 2022)», dem Hebammenfachmagazin der Schweiz, wurde diese Methode beschrieben und berichtet, dass sie bereits vereinzelt in Schweizer Spitälern angewandt wird. Aus diesem Anlass und weil immer wieder fachliche Frage dazu an uns gelangen, nimmt die Fachstelle kindsverlust.ch hiermit Stellung zur «Wassermethode».
Als Fachteam im Bereich des frühen Kindsverlust weisen wir immer wieder darauf hin, wie wichtig es ist, das Bonding der Eltern mit ihrem verstorbenen Kind zu unterstützen, den physiologischen Abläufen ihren Lauf zu lassen und den Eltern möglichst Zeit zu lassen und nicht einzugreifen.
Was kann es nun bedeuten, wenn Eltern die Möglichkeit erhalten, ihr Kind in kaltes Wasser zu legen, damit es «schöner» bleibt? Hier ein paar Überlegungen und Gedanken dazu:
Stärkt es die Fürsorge für das eigene (verstorbene) Kind, es ins kalte Wasser zu legen?
Wie kann das Bonding zu einem im Wasser liegenden Kind gefördert werden?
Ist es wirklich hilfreich für betroffene Eltern, wenn ihr verstorbenes Kind länger «schön» bleibt?
Wozu dient dies? Entspricht dieses Vorgehen der Physiologie des Sterbens und Vergehens?
Immer wieder kommen Eltern auf uns zu, die Bedenken haben, ob sie ihr verstorbenes Kind gehen lassen können und verzweifelt sind, weil es ihnen kaum bewältigbar scheint, sich von ihrem Kind zu trennen. In den Beratungen bestärken wir die Eltern stets, ihrer Fürsorge zu ihrem Kind zu vertrauen. Wenn sie erleben, wie sich ihr Kind langsam verändert, z.B. Flüssigkeit aus den Körperöffnungen austritt, die Haut einfällt, der Geruch sich langsam verändert, wird die Bereitschaft der Eltern kommen, sich vom Körper ihres Kindes zu verabschieden, denn dieser Weg ermöglicht die Erfahrung, dass das «Wesen» des Kindes nicht länger dem leblosen Körper innewohnt. Ein natürliches Gehen-Lassen vom Körper ihres Kindes wird so möglich.
Aus diesen Gründen stehen wir der Wassermethode kritisch gegenüber und haben fachliche Vorbehalte, dass diese betroffene Eltern in ihrem physiologischen Prozess hilfreich unterstützt.
Genauso wie wir es als wegweisend erachten, Eltern in ihrem Trauerprozess möglichst nicht zu stören mit unserem «Aktionismus», sondern sie darin zu bestärken, ihren eigenen Weg zu gehen und sich dafür Zeit zu nehmen, setzen wir uns auch dafür ein, der Realität des Todes zu begegnen und diesen nicht «schöner» zu machen. Zu dieser Realität gehört es auch, die physiologischen Veränderungen am Körper des verstorbenen Kindes erlebbar zu machen. Wir wünschen uns, dass Fachpersonen, welche an Spitälern und Institutionen arbeiten, diese Überlegungen miteinschliessen und freuen uns, wenn sie auf uns zukommen für anregende Diskussionen.
Anna Margareta Neff Seitz, Leiterin der Fachstelle kindsverlust.ch,
und das Fachteam kindsverlust.ch
Bern, 13. Januar 2022