
«Innehalten, Verlangsamen und Sortieren» , Interview mit Absolventin Esther Hänger Saladin zum Lehrgang «Professionell begleiten beim frühen Tod eines Kindes»
Esther Hänger Saladin, Hebamme und Beraterin von kindsverlust.ch ist eine von 18 Teilnehmerinnen, die im Herbst 2022 in den 16-tägigen Lehrgang «Professionell begleiten beim frühen Tod eines Kindes» gestartet sind.
Im Interview erzählt sie, wie der Lehrgang sie in ihrer Arbeit als Beraterin und freiberufliche Hebamme beeinflusst hat und gibt wichtige Impulse für die Begleitung von Familien, deren Kind früh stirbt.
Was für Wissen und Kompetenzen wurden dir im Lehrgang “Professionell begleiten beim frühen Tod eines Kindes” von kindsverlust.ch vermittelt?
Esther Hänger Saladin: Der Lehrgang ermöglicht und verstärkt die Reflexion der eigenen Rolle, dem persönlichen Umgang mit Tod und selbst erlebten Verlusterfahrungen aus der Arbeit mit Klient:innen oder dem eigenen Umfeld. Weil ich schon lange Menschen begleite, die ihr Kind früh verlieren, habe ich im Lehrgang gelernt, für mein Erleben eine Sprache zu finden. Durch die gemeinsame Reflexion mit Dozentin Franziska Maurer, ihren Aufgaben und Fragen wird die Auseinandersetzung mit dem Thema früher Kindsverlust in Gang gesetzt. Wie gehe ich damit um, wenn ein Mensch stirbt? Was passiert bei mir selbst und bei den Eltern, deren Kind früh stirbt? Was ist eine Krise oder eine Schockreaktion? Da gibt der Lehrgang sehr vielseitiges, praxisnahes Wissen und wertvolle Kompetenzen mit auf den Weg als begleitende Fachperson für Eltern, die ihr Kind früh verlieren. Diese tiefe und persönliche Auseinandersetzung mit Tod und Verlust ist hilfreich, wenn auch manchmal unbequem. Sie kann eigene tiefe emotionale Prozesse in Gang bringen.
Welche Rolle spielt das Hebammenwissen im Lehrgang von kindsverlust.ch?
Esther Hänger Saladin: Der Lehrgang ist interdisziplinär aufgebaut und an eine Zielgruppe weit über Hebammen hinaus gerichtet. Das Hebammenwissen spielt insofern eine Rolle, als dass die körperlichen Vorgänge bei einer Fehlgeburt oder Totgeburt zentral sind für das Verständnis des frühen Kindsverlusts. Für mich als Hebamme einerseits sind die Blickwinkel aus weiteren Berufsgruppen zum Beispiel aus dem therapeutischen Bereich sehr interessant und erweitern meinen eigenen Horizont. Andererseits schätzen Fachpersonen aus der Seelsorge, der Mütter- und Väterberatung oder dem therapeutischen Bereich die physiologischen Vorgänge durch den Lehrgang zu verstehen und in ihr bestehendes Fachwissen einzuordnen. Dieser Austausch und Gespräche mit den anderen Teilnehmern ist eine Bereicherung, sowohl persönlich als auch interdisziplinär interessant.
Wie hat der Lehrgang “Professionell begleiten beim frühen Tod eines Kindes” deine Arbeit als Hebamme beeinflusst?
Esther Hänger Saladin: Ich habe mich sicher nochmals stärker mit dem Fachbegriff “Krise” auseinandergesetzt. Was passiert in einer Krisensituation? Welche Möglichkeiten zur Begleitung als Fachperson gibt es? Wie bin ich für die betroffenen Familie als Fachpersonen da? Der Lehrgang hat viel bestätigt, was ich als Hebamme und Beraterin bereits so umgesetzt habe. Es gibt mir einen sicheren Boden in das zu vertrauen, wie ich Familien und Eltern begleite, wenn ihr Kind früh stirbt. Seit dem ich den Lehrgang besuche, benenne ich viel mehr, was ist. Das Wissen hat mir geholfen, Worte zu finden und meine Sprache zu verändern.
Wem würdest du den Lehrgang weiterempfehlen?
Esther Hänger Saladin: Eigentlich allen, die in ihrem Arbeitsalltag mit Familien, Eltern und schwangeren Frauen in Berührung kommen. Vor allem aber empfehle ich den Lehrgang allen Hebammen. In ihrer Ausbildung fehlt für eine vertiefte Auseinandersetzung die Zeit, die das Thema braucht. Es tut gut, vier Tage am Stück aus dem Alltag auszubrechen und sich profund mit dem frühen Kindsverlust zu beschäftigen. Was sich daraus entwickeln darf, ist ein unglaublicher Reichtum an Erfahrungswissen und Sicherheit. Diese Sicherheit befähigt uns Fachpersonen in der alltäglichen Arbeit mit den betroffenen Familien. Gynäkolog:innen, Fachärzt:innen aus Neonatologie und Pädiatrie, Pflegefachpersonen aus der Geburtshilfe, Therapeut:innen, Seelsorger:innen sowie Mütter- und Väterberater:innen lege ich den Lehrgang wärmstens ans Herz. Man lernt darüber nachzudenken, welche Wirkung man als Fachperson auf das Leben der betroffenen Eltern hat. Es wird einem bewusst, wie innerhalb einer kurzen Sequenz der Beratung oder der Untersuchung die Selbstwirksamkeit der betroffenen Personen gestärkt werden kann damit sie einen gangbaren Weg des Weiterlebens finden, nachdem ihr Kind gestorben ist.
Was würdest du anderen Fachpersonen mit auf den Weg geben für die Begleitung von Familien, deren Kind früh stirbt?
Esther Hänger Saladin: Das Wichtigste ist Innehalten, Verlangsamen und Sortieren. Je nach dem in welchem Moment man mit den betroffenen Eltern zu tun hat, ist es wichtig, den Druck aus der Situation herauszunehmen. Nachdem ein Kind gestorben ist, gibt es nichts mehr zu überstürzen. Ich versuche den betroffenen Personen diesen Raum und die Zeit für sich und anstehende Fragen zu geben. Was heisst das jetzt für mich oder für uns als Eltern? Was bedeutet es für mein Kind? Es ist ein gemeinsames Aushalten davon, dass es im Moment nichts zu tun gibt, ausser dem Thema Raum zu geben. Als Fachperson bin ich für die betroffenen Familien da, wenn sie Mühe haben in dieser Krisensituation innezuhalten.
Für den Lehrgang 2023/2024 mit Start Ende September 2023 gibt es noch freie Plätze.