
«Ich bin präsent und kommuniziere bereits, bevor ich ein Wort sage – dessen bin ich mir bewusst.» Ein Interview zum Thema Kommunikation in der Krisenbegleitung mit Beatrix Ulrich
Der Tod eines Kindes während der Schwangerschaft, der Geburt oder kurz danach ist ein tiefgreifendes Ereignis, das bei den Eltern und ihren Familien eine Lebenskrise und immense Trauer auslösen kann. Es ist ein Prozess, der vielfältige Emotionen mit sich bringt und oft eine Neuorientierung erfordert. Für Fachpersonen kann es herausfordernd sein, Eltern in einer solchen Krisensituation zu begleiten. Wie wichtig dabei die Kommunikation und der Umgang mit der möglichen eigenen Hilf- und Sprachlosigkeit ist, erzählt uns eine erfahrene Fachperson.
Im folgenden Interview teilt Beatrix Ulrich ihre Erfahrungen mit betroffenen Familien mit uns und gibt uns so einen Einblick in ihre Arbeit.
Beatrix Ulrich, du bist Hebamme, Trauerbegleiterin und Beraterin im psychosozialen Bereich. Du begleitest häufig Familien, deren Kind früh verstirbt. Wann suchen die Familien Unterstützung bei dir?
Ich habe zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten Kontakt zu Eltern. Manche haben gerade die Diagnose einer schweren Erkrankung ihres Kindes erhalten und stehen vor wichtigen Entscheidungen. Andere wissen bereits, dass ihr Kind verstorben ist oder bald sterben wird, eventuell begleitet durch palliative Betreuung. Oft endet eine Schwangerschaft schon in einem frühen Stadium, manchmal jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt. Es kommen aber auch Eltern auf mich zu, deren Verlust des Kindes bereits länger zurückliegt.
Du begegnest dabei Menschen, welche eine existenzielle Krise erfahren. Wie erlebst du deine Arbeit als Hebamme in diesen Momenten?
Häufig werde ich gefragt: „Wie hältst du es aus, immer wieder solche traurigen Geschichten zu hören?“. Meine Antwort darauf ist, dass ich seit 30 Jahren Hebamme bin und in dieser Zeit viele Facetten des Lebens gesehen habe. Viele Kinder kommen gesund zur Welt, aber es gibt auch Situationen, in denen ein Kind schwer krank ist oder kurz vor oder nach der Geburt stirbt. Für mich ist es nicht belastend, mich mit herausfordernden Themen zu befassen – im Gegenteil, ich habe ein tiefes Interesse an den Menschen und ihren Lebensbiografien. Ich erlebe meine Arbeit als sinnstiftend und wertvoll, denn ich kann Familien einen Raum bieten, in dem sie Ruhe erfahren können von der Welt draussen, die ihnen viel abverlangt und die sie vor Herausforderungen stellt. Dies lehrt mich viel über das Leben und dafür empfinde ich eine grosse Dankbarkeit.
Was für Werkzeuge stehen dir in deiner Arbeit zur Verfügung? Wie gehst du vor, wenn Eltern zu dir in die Praxis kommen?
Ich orientiere mich selbst an der Salutogenese, also am physiologischen Geschehen oder dem Verständnis natürlicher Kreisläufe und Prozesse. Das Kontinuum von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ist dabei ein wichtiges Instrument. Als Hebamme begleite ich Paare im Eltern sein, auch dann, wenn ihr Kind verstirbt.
Oft zeichne ich bei einem Erstgesprächs das Kontinuum der Elternschaft auf und bespreche mit den Eltern, wo sie sich gerade befinden. Eine Frau zum Beispiel, die gerade geboren hat, ist frisch Mutter geworden und befindet sich im Wochenbett. Ich begleite sie als Wöchnerin in all diesen physiologischen Prozessen, die sie auch im Körper erlebt. Dies gibt den Familien Orientierung und ein besseres Verständnis für ihre aktuelle Situation.
Wie trittst du mit Eltern in Kontakt, wenn du sie das erste Mal in deiner Praxis empfängst?
Dies beginnt für mich bereits vor dem eigentlichen Termin. Ich nehme mir hierfür kurz Zeit für mich. Um ganz im Hier und Jetzt und somit präsent sein zu können, helfen mir z.B. spezifische Körperübungen. Wenn ich dann das Paar in meiner Praxis begrüsse, stelle ich mich vor und gebe gerne die Hand, da mir dieser erste Körperkontakt zusätzlich Aufschluss über ihr Befinden gibt (Körperspannung, kalte Hände etc.). Anschließend fasse ich zusammen, was ich bereits von ihnen weiß, zum Beispiel: „Wir hatten telefonischen Kontakt, und ich habe gehört, dass Ihr Kind kürzlich verstorben ist. Sie suchen nun Unterstützung in Ihrer Trauerbewältigung.“ Ich halte somit fest, warum wir gerade jetzt zusammensitzen. Manchmal beginnen Eltern sofort von ihren Kindern und Erfahrungen zu erzählen. Manchmal nehme ich zuerst ihre Personalien auf und biete ihnen somit die Gelegenheit, zuerst anzukommen und Vertrauen zu gewinnen und nicht sofort mit sehr persönlichen Erfahrungen starten zu müssen.
Was ist dir in der Kommunikation mit Eltern besonders wichtig?
Ich erachte es als wichtig, klar und offen zu kommunizieren und zu benennen, was ist. Dies kann sein «das Kind ist krank und wird sterben» oder auch «wir können nicht genau wissen, wie es weitergehen wird». Gerne gebe ich dazu ein Beispiel: Ich habe eine Frau* begleitet, welche in der 24. Schwangerschaftswoche einen vorzeitigen Blasensprung erlebte. Es wurden viele Kontrollen, Blutentnahmen und Ultraschalluntersuchungen innerhalb weniger Tage durchgeführt. Rückblickend hat sie realisiert, dass ihr im Vorfeld von den begleitenden Fachpersonen niemand gesagt hat, dass das Kind beim Einsetzen der Wehen, also bei Geburtsbeginn, sterben würde, bzw. kaum Überlebenschancen habe. Diese Informationen hätten ihr geholfen, sich auf das vorzubereiten, was kommen könnte, so schmerzlich es auch gewesen wäre.
Wie reagieren Eltern, wenn du so klar und offen kommunizierst?
Ich spüre vor allem immer wieder eine grosse Erleichterung, dass über den Tod offen gesprochen werden darf. Natürlich sind da auch der Schock und eine enorme Erschütterung. Doch die klare Kommunikation bietet auch den Raum, konkrete Fragen stellen zu dürfen: «Wie sieht ein Kind aus, welches verstorben zur Welt kommt?» und «Was geschieht danach mit unserem Kind?». Wenn solche Fragen nicht gestellt werden können, bleiben sie oft als belastende Gedanken im Raum hängen.
Hast du von Eltern Rückmeldungen erhalten, was in der Kommunikation für sie erschwerend war?
Eine unklare Kommunikation verunsichert die Eltern oftmals. Sie fragen sich beispielsweise: „Was passiert als nächstes?“ Wenn auch die Fachperson keine klaren Antworten hat, ist es hilfreich, dies auszusprechen. Dies gibt den Eltern Orientierung. Eltern vor vermeintlich belastenden Informationen zu schützen, kann ihren Verarbeitungsprozess erschweren. Sie erleben es oft als besonders belastend, wenn über den Tod ihres Kindes nicht gesprochen wird. Auch gut gemeinte Ratschläge und Floskeln können verletzend sein. Sie spiegeln in der Regel die eigene Hilflosigkeit des Gegenübers wider.
Du kennst sicher den Satz «Man kann nicht nicht kommunizieren». Welche Bedeutung hat die nonverbale Kommunikation für dich?
Wir kommunizieren ständig, sei es durch unsere Körperhaltung, unseren Blick oder unsere Gesten. Ich bin mir dessen sehr bewusst und achte auf meine Selbstregulation. Wenn mir z.B. jemand weinend und in gekrümmter Körperhaltung gegenübersitzt und ich diese Haltung auch einnehme, kann ich seine Empfindungen verstärken. Also achte ich darauf, wie ich selbst atme, wie bequem und aufrecht ich sitze, wie meine Füsse den Boden berühren. Das Stichwort sind hier die Spiegelneuronen, bestimmte Nervenzellen in unserem Gehirn: Reguliere ich mich in Stressmomenten oder herausfordernden Situationen selbst, hat dies ebenfalls eine beruhigende Wirkung auf mein Gegenüber.
Ausserdem bin ich mit Körperkontakt zunehmend zurückhaltender geworden, weil es von Betroffenen schnell als zu viel Nähe empfunden werden kann. Ich frage mich dann z.B. bei einem Impuls, ob es mein Bedürfnis ist, jemanden zu umarmen, oder ob es in erster Linie für mein Gegenüber hilfreich sein kann? Ich kann dies auch aussprechen, indem ich sage „Ist es für dich gut, wenn ich dich jetzt berühre“. Ich schaue also zuerst, wie mein Gegenüber darauf reagiert, bevor ich handle.
Gibt es Momente, in denen du sprachlos bist und nicht weisst, was sagen?
Ja, solche Momente kenne ich und ich spreche sie an. Dann benenne ich diese Sprachlosigkeit und halte das Schweigen aus. Ich sage für einen Moment nichts. Das gibt den Eltern Raum, ihre Gefühle zuzulassen und durchzuatmen. Dass die Eltern das Schweigen dann auch zulassen können, spiegelt grosses Vertrauen und Sicherheit mir gegenüber wider. Wenn ich selbst in Stress gerate, reguliere ich zuerst mich selbst. Das hilft mir immer wieder, auch in Momenten der Stille, ganz im Moment und präsent bleiben zu können.
Wie gestaltest du den Abschluss eines Gesprächs und wie verabschiedest du dich?
Ich fasse oft zusammen, was im Gespräch besonders präsent war und hebe zentrale Punkte hervor, z.B.: „Heute haben wir über viele Themen gesprochen. Nimm dir Zeit, diese Gedanken in Ruhe setzen zu lassen.“ Ich gebe zudem einen Ausblick und erläutere, falls noch nicht geschehen, wie ich die Eltern im weiteren Prozess unterstützen kann. Oft biete ich körperorientierte Methoden wie Massagen, Rebozo (alte mexikanische Massagetechnik mittels eines Tuches, dem Rebozo) oder Meditation an, um das Erlebte zu verarbeiten.
Zum Schluss bespreche ich die nächsten Schritte: „Wie wirst du jetzt aus der Praxis gehen?“ Manchmal schlage ich vor, auf der Strasse kurz innezuhalten und tief durchzuatmen, bevor sie weitergehen. Oder ich rege an, sich etwas Gutes zu tun, z.B. ein Stück Kuchen beim Bäcker unten zu holen. Oft bespreche ich mit ihnen auch, was sie heute Abend brauchen, um zur Ruhe zu kommen und schlafen zu können. Meist sind es konkrete Schritte, die wir gemeinsam bis zum nächsten Termin festlegen.
Zu guter Letzt: Was würdest du anderen Fachpersonen gerne noch auf den Weg geben?
Hinhören, Da-Sein und das Herz öffnen.
Das Interview wurde im November 2024 von Anne Siegenthaler, Verantwortliche Beratungsdienst und Hebamme HF mit Beatrix Ulrich geführt.
*Diese Frau heisst Lisa Rabner-Catran. Sie hat in einem Essay ihre Geschichte festgehalten: „Für Liora – Soll mein Kind leben? Die Reflexion einer Mutter vor einer drohenden Frühgeburt“. Sie hat mit ihrem Text als Medizinstudentin den ersten Preis beim Essay-Wettbewerb der Universität Zürich im 2024 gewonnen.
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