«Wie hält man das Sterben von Kindern aus?» Unsere Beraterin im Interview
Eva Zumbühl, Beraterin bei kindsverlust.ch und freischaffende Hebamme, begleitet Familien, wenn Kinder früh sterben. Im Interview gibt sie Einblick in ihre nicht alltägliche, für sie erfüllende Arbeit.
Du bist Pflegefachfrau und Hebamme. Hat dich eine bestimmte Erfahrung in deine jetzige Arbeit im Thema des frühen Kindsverlusts geführt?
Eva Zumbühl: Es war nicht nur ein bestimmtes Ereignis, sondern viel mehr viele prägende Erfahrungen in meiner Kindheit. Geburt und Tod gehören zu meinem Leben, seit ich denken kann. Mit 5 Jahren war ich bei einer Geburt dabei und wenig später machte ich meine ersten Erfahrungen mit dem Tod eines Familienmitgliedes. Meine Eltern haben mich selbstverständlich an all diesen Prozessen teilhaben lassen. Als Hebamme erlebte ich dann erstmals, dass die beiden grossen Übergänge – geboren werden und sterben – sehr nah beieinander liegen. In der Geburtsbegleitung und in der Sterbebegleitung laufen ähnliche Prozesse ab und in beiden grossen Übergängen, zählt nur das Hier und Jetzt.
Du bist Beraterin bei kindsverlust.ch und als freischaffende Hebamme auf Trauerbegleitung spezialisiert. Wie erlebst du diese Aufgaben?
Eva Zumbühl: Ich höre oft die Frage: «Wie kannst du diese Arbeit tun?» Dann erzähle ich von der grossen Sinnhaftigkeit meiner Arbeit. Wie erfüllend und berührend es ist, Eltern auf einen gangbaren Weg des Weiterlebens zu begleiten, nachdem sie eine zutiefst erschütternde Krise erlebt haben. Wo man zur Welt kommen kann, kann man auch sterben. Geburt und Tod gehören zu meinem Leben, so wie zu uns allen. Ich wollte früh lernen, einen guten Umgang mit dieser Tatsache zu erfahren und in mein Leben zu integrieren. Dies ist die Motivation hinter meinem Tun. Bei den grossen Übergängen von Geburt und Sterben dabei sein zu können erlebe ich immer wieder als erfüllend.
Wie sieht denn ein Beratungsmorgen an der Fachstelle kindsverlust.ch für dich aus?
Eva Zumbühl: Wenn ich morgens starte, lüfte ich zuerst das Beratungszimmer. Dann zünde ich immer eine Kerze an. Ich nehme mir dadurch Zeit anzukommen und für den Beratungsmorgen ganz präsent sein zu können. Danach ist ein Beratungsmorgen immer ungewiss: Manchmal klingelt das Telefon ununterbrochen und gleichzeitig füllt sich das Mail-Postfach. Oder es bleibt auch mal ganz ruhig. In jedem Fall sind der Austausch im Team oder die Fallbesprechungen wertvolle Gefässe, um Beratungssituationen zu reflektieren und einzuordnen. Nach dem Beratungsmorgen lüfte ich erneut ausgiebig das Zimmer. Und falls möglich, nutze ich den Weg vom Büro zum Bahnhof für einen kurzen Spaziergang, bevor mich zu Hause mein persönlicher Familienalltag erwartet. Jede Beraterin hat ihre persönlichen Strategien jeweils vor und nach einem Beratungsmorgen. Dies ist für die Selbstfürsorge und eigene Gesundheit ganz besonders wichtig.
Gibt es eine Frage, die dir von betroffenen Familien oft gestellt wird?
Eva Zumbühl: «Ist das normal, dass ich diese Trauer und diesen Schmerz fast nicht aushalte? Wird dieser Schmerz irgendwann kleiner? Und ist es normal, was ich fühle?» Für viele betroffene Eltern bedeutet der Tod des eigenen Kindes neue, bisher unbekannte Gefühle. Trauer, Scham, Neid oder Wut sind einige davon.
Wie kannst du bei diesen Fragen als Beraterin hilfreich orientieren?
Eva Zumbühl: Ich zeige auf, dass diese Gefühle ganz üblich sind. Dass es anderen Eltern, welche ähnliches erleben müssen, ganz ähnlich ergeht. Es wäre tatsächlich auffälliger, diese Gefühle wären nicht da. Sie dürfen angenommen und durchlebt werden. Der grosse Schmerz nach dem Tod des eigenen Kindes oder auch nach unerfülltem Kinderwunsch zeigen die Gefühle der Liebe und Fürsorge von Eltern auf. Alles wäre für dieses Kind bereit gewesen.
Welche Bedeutung hat dabei die Trauer?
Eva Zumbühl: Für betroffene Eltern ist es oft sehr entlastend zu hören, dass Trauer sehr anstrengend ist. Meine Aufgabe ist es, neben all der Trauer auch Raum für Zuwendung und Liebe zu schaffen. Dieser Schutzraum ermöglicht es den Eltern, mit ihrem verstorbenen Kind in Beziehung zu treten.
Was für praktische Ansätze sind für deine Beratung hilfreich?
Eva Zumbühl: Ich frage nach, wie mein Gesagtes anklingt. Ob die betroffene Person damit etwas anfangen kann. Manchmal genügt es, zu wiederholen, was ist, was die Betroffene selbst erzählt haben. Und dann zeige ich auf, wo sie in Beziehung zu ihrem Kind stehen. Diese Anbindung bestärke und spiegle ich bewusst. Ich würdige die elterliche Fürsorge und bestärke sie somit, eigene Ressourcen zu aktivieren. Nach der Beratung verweise ich bei Bedarf auf weitere, regionale Fachpersonen weiter.
Du berätst auch Fachpersonen, die beim Sterben von Kindern involviert sind. Was bewegt sie, wenn sie sich bei dir melden?
Eva Zumbühl: Es gibt unterschiedliche Themen. Sehr oft sind sie konfrontiert mit der eigenen Betroffenheit. Wie viel Raum darf sie einnehmen? Wie halte ich es selbst aus? Wie kann ich meine eigenen Gefühle regulieren? Auf was muss ich in der Begleitung nun achten? Oft sind auch rechtliche Fragen da. Bei Fachpersonen geht es ebenfalls darum, die Selbstfürsorge zu beachten und zu pflegen.
Und wie kannst du da betroffene Fachpersonen unterstützen?
Eva Zumbühl: Ich bin im Vertrauen, dass Eltern Werkzeuge haben oder erlernen werden, um mit dieser Erfahrung einen Weg zu finden. Diese Überzeugung und innere Haltung überträgt sich auf die Fachpersonen und dann auch auf die Betroffenen. Sie gibt Sicherheit und Orientierung. Wichtig ist, dass Fachpersonen wissen, dass sie nicht allein verantwortlich sind für den Verarbeitungsprozess der Eltern. Hier spielen viele Faktoren ineinander und wir sind nur ein Puzzleteil im Ganzen. Dies auszusprechen, wirkt oft entlastend auf begleitende Fachpersonen.
Und was unterstützt dich als Person, dabei selbst gesund zu bleiben? Was sind deine Ressourcen?
Eva Zumbühl: Durch mein Vertrauen, dass Eltern den frühen Tod ihres Kindes überleben können, schöpfe ich meine innere Ruhe. Zusätzlich bin ich mir meiner eigenen Gefühle bewusst. Ich nutze Möglichkeiten, mich selbst zu regulieren. Jede Person hat hier ihre eigenen Ressourcen. Um meine Regeneration zu fördern, unternehme ich regelmäßig Spaziergänge im Wald mit meinem Hund. Die Bewegung an der frischen Luft tut mir gut, und ich finde es beruhigend, den Wechsel der Jahreszeiten zu erleben und zu sehen, wie die Natur sich wandelt: Pflanzen wachsen, blühen, und andere vergehen. Zudem liebe ich es zu Kochen, denn dabei kann ich mich ganz auf den Moment konzentrieren und alle meine Sinne einsetzen.
Wenn du allen begleitenden Fachpersonen eine Botschaft ins Ohr flüstern könntest, was wäre das?
Eva Zumbühl: Ihr sollt im Wissen sein, dass man den frühen Tod des eigenen Kindes überleben kann. Seid im Vertrauen, dass betroffene Eltern damit Leben lernen können. Schafft einen Schutzraum für die betroffenen Eltern und für euch selbst. Verlangsamung ist eines der wichtigsten Werkzeuge in der Beratung und Begleitung von Eltern, deren Kind früh gestorben ist. In den meisten Fällen gibt es genügend Zeit. Es ist wichtig, dass Entscheidungen nicht aus der Not oder aus dem Schock heraus getroffen werden. Wenn Eltern in der Selbstwirksamkeit agieren können, hat dies nachweislich schützende und positive Auswirkungen fürs Weitergehen. Dies zu unterstützen und zu fördern, liegt in unserer Verantwortung.
Das Interview wurde am 18. Juni 2024 von Stefanie Schwaller, Verantwortliche Kommunikation und Fundraising geführt.